Durch ein Arschlochmove des Schicksals sitzen Söhnchen und ich regelmäßig, so im Dreimonatsabstand, beim Kinderfacharzt. Der Mann, der die Minigehirne seiner Minipatienten im Auge hat, ist sehr begehrt. Wir warten trotz Termin zwei Stunden. Rätselhafterweise befinden sich im Wartezimmer außer uns ausschließlich Miniherzpatienten. Die wollen woandershin. Wo bleibt er nur?

Kommt Dr. Brain uns dann persönlich abholen, ist der ganze Warteärger umgehend verflogen. Ich beschließe, mein Bedürfnis, dieser ganzen Scheiße hier etwas abzugewinnen, auf den Doktor zu projizieren.

Dabei ist er nicht gerade charismatisch. Eher so der stille Typ dezenter Attraktivität, aber nicht geheimnisvoll-still, eher so „ich-bin-lieber-still-still, außerdem bin ich sehr schlau, dafür kann ich aber nichts“. Das ist das aktuelle Beuteschema, damit qualifiziert er sich, wenn auch möglicherweise völlig unbeabsichtigt. Das Holzfällerflanell kann ich ausnahmsweise ignorieren, da gibt es sonst kein Pardon.

Mit niemandem kann ich so wunderbar reden wie mit ihm. Als teuer ausgebildete und schlecht bezahlte Heilmittelerbringsklavin habe ich ein gewisses Hirnbasiswissen, das hebt mich selbstverständlich von den anderen Muttis, die hier den ganzen Tag auf meinem (!) Stuhl herumhocken, ab!, außerdem habe ich Fragen genug, um der Arschlochdiagnose auf ihren miesen Grund zu gehen. Dr.Brain hat Antworten. Weil er so schön zuhört. Es entsteht so ein wunderbarer Kommunikationsflow zwischen uns – spürt er den auch? Ich darf übrigens auch jederzeit anrufen, wenn was ist. Es ist auch dauernd was, ich brauche mir keinen Vorwand ausdenken, danke dafür.

Während der Blutentnahme nerden der Doc und der Sohn über die zu erfindende piekfreie Spritze herum: In Zukunft wird der Körper sein rotes Gold widerstandslos und verletzungsfrei rausrücken! Im Anschluss springt Söhnchen durchs Behandlungszimmer und singt „Doktor B., Doktor B., ich wünschte, wir wohnten bei Dr. B.!“ Au ja.

Das alles ist moralisch so mittel- bis nicht-ok, wegen der Beziehung – also meiner! Ob der Doktor liiert ist, kann ich nicht erkennen, weil er einem – also mir jedenfalls! – beim Berichttippen im Zehnfingersystem ununterbrochen in die Augen blickt, da gucke ich zurück, statt nach dem Ringfinger zu schielen! -und ethisch nicht ok, weil wir den Mann ja brauchen und er mehr oder weniger von mir bezahlt wird. Macht das Ganze aber nicht unspannender.