Manchmal, ganz manchmal, möchte auch ich im Mittelpunkt stehen. Es ist nur gerecht, wenn sich mal alle Aufmerksamkeit nur um mich dreht. Da darf’s dann auch ruhig ein bisschen um meine Defizite und deren Entstehungsgeschichte gehen.

Das kannst echt nur du – mir einfühlsam und ausdauernd (also selbst dann, wenn ich schon Vermeidungs- und Abwehrstrategien einsetze) die Zusammenhänge meines Wahrnehmungsniederganges zu analysieren. Es ist immer schön und nützlich, wenn man das nicht selbst tun darf äh muss; anderer Leute Erkenntnisse – äh, also, deine, natürlich – sind da auch weitaus reliabler weil objektiver.
Man kann das übergriffig finden, aber es war zweifelsohne richtig gut gemeint von dir, nicht nur an mir deinen großzügigen psychohygienischen Dienst zu tun, sondern auch meiner Mutter deine Wut darüber mitzuteilen, was sie und ihr „Ex-Mann an der Tochter verbrochen“ haben. Ja da hast du natürlich recht. Meine Eltern, im krassen Gegensatz zu deinen, haben jahrelang sehenden Auges und voll des Genusses tiefe Wunden in die Seelen ihrer Kinder geschlagen, aus reiner Schlechtigkeit, und nun sitze ich hier, beziehungsunfähig, und mit meinem neuen Freund, dessen Namen du dir völlig zurecht seit fast zwei Jahren nicht merken kannst, bin ich nur zusammen, weil ich es allein nicht aushalte (und er auch nicht). Da ist es gut zu wissen, dass du als Einziger dich nicht in die Irre führen lässt, nein, mutig stehst du auf gegen die andauernde gewaltsame Verdrängung der Tatsachen, und zeigst anklagend mit dem Lehrerzeigefinger, den du von deiner lieben Mama geerbt hast, auf die zertrampelten Reste meiner Einfühlungs- und Interaktionsfertigkeiten.
Es tut mir aufrichtig leid, dass ich meine familienbiographischen Themen fälschlicherweise für weitgehend geklärt halte und mich deshalb meiner eigenen Muttischaft, leider nur der meiner Jungs gegenüber, sorry ihr Prinzen auf den weißen Gäulen, zugewandt habe. Das ist eindeutig ganz, ganz falsch. Mir ist klar, dass ich meine Mutter rachsüchtig zerfleischen und mit meinem Vater kein Sterbenswörtchen mehr sprechen sollte (Meine Großeltern spannst du mir ja gerade aus Ermangelung eigener noch lebender welcher aus, aber die sind ja auch nicht so böse), allein, ich bin zu schwach. Im Grunde bin ich dir sehr verbunden für deine fortwährenden Aufklärungsbemühungen, zeigen sie doch, wieviel ich und mein absolutes Wohlergehen dir, und nur dir auf dieser großen grausamen Welt, bedeuten, und wer sonst sollte mich verteidigen gegen die Niedertracht meiner Erzeuger – es sind doch die Menschen allesamt ignorant, feige und bequem?!
Was für eine Tragödie, dass ich vor lauter Verkorkstheit – danke Mutti und Vati! – nun dieses Geschenk der schonungs äh bedingungslosen Liebe, derer ich aufgrund des kindlichen Mangels doch so sehr bedürfe, von dir überhaupt nicht annehmen kann. Wenn ich einmal alt und grau bin, wird mir mein verhängnisvoller Fehler dann sicherlich auf der Bahre noch bewusst werden, und dann wehe mir!
Aber bis dahin ist ja noch bisschen Zeit.

 

– Mit Widmung an meine schlimme Mutti –